Donnerstag, 13. November 2008
Sido, Bushido & Co.

Label: KanakStarrs Records

Man mag es kaum glauben, aber zur Zeit höre ich mir Lieder von Sido, Bushido und anderen Deutsch-Rappern an ! Und das nicht nur um informiert zu sein, um mitreden zu können, wenn es um diese augenscheinlich ''gesellschaftsschädlichen'' Liedtexte geht !

Viele dieser Texte, insbesondere der harte Straßenrap, werden im Allgemeinen als jugendgefährdend, geistlos und gewaltverherrlichend betrachtet.
Diese Einschätzung (denn eine vorurteilsfreie objektive Auseinandersetzung mit den Texten fehlt meistens) ist grundlegend falsch !

Beim Diskurs über dieses Thema wird wirklich kein Klischee ausgelassen ! Dies erschwert nicht nur den Zugang, sondern lässt leider allzu oft ein falsches Bild von dieser Art der Musik entstehen.

Viele sagen vorschnell, bevor sie die Lieder genauer hörten, sie transportierten Hasstiraden, sie seien rassistisch und in ihnen sei nur von Drogen, Sex, Alkohol und Gewalt die Rede.
Man behauptet gern, diese Rapper wären schlechterzogene, ungebildete Junkies, menschlicher Ausschuss, Großstadtmüll, ein Produkt einer verrohten, verlotterten Gesellschaft, welches bewusst ihre Zielgruppe eben zu Gewalt, Drogen und Alkohol auffordert !

Wenn ich nun behaupte, dass die Botschaften von Sido, Bushido und Co. gänzlich andere sind, so wird man mir möglicherweise entgegenbringen, ich interpretierte schließlich völlig andere Aussagen, aus den Texten als die Jugendlichen, die gemeinhin diese Lieder hören.
Ja, man wird sagen, der Intellekt eines geneigten, erwachsenen Zuhörers, der sich offen, gefestigt und gelassen die Liedtexte zu Gemüte führt, wird zwangsläufig einen tieferen Sinn hinter den scheinbar schroffen, primitiven Aussagen suchen und auch logischerweise Dementsprechendes raushören !

Doch ist es das allein ? Ich denke nicht ! Und dafür hab ich etliche Anhaltspunkte, die jedoch den Rahmen eines Blogs sprengen. Trotzdem hier ein kurzer Abriss :

Es sind nicht nur die Moral- und Wertvorstellungen, die in den Texten ganz klar zum Ausdruck gebracht werden ( wenn auch oft zwischen konträr dazu stehenden Gewaltfloskeln u.ä.) und die permanente Ablehnung wirklich sinnloser, roher Gewalt, die mich zu dem Schluß kommen lassen, dass es sich hier um Lieder handelt, die vielmehr vom Leben, von den Hoffnungen, von den Träumen und auch von dem Frust, von dem Ärger, von der Enttäuschung über die vorherrschenden Bedingungen vieler Jugendlicher in den Großstädten berichten.

Nein, auch sehe ich die Grundmotivation vieler Rapper darin, eine, wenn man so will, ''befreiende Gegenwehr'' gegenüber den Zwängen der Gesellschaft und einengenden Regeln des gehorsamen Spießbürgertums zu mobilisieren , die ihre Jugend an geistige Ketten legt und sie zwangsläufig in die leidenschaftslose Unmündigkeit, die Entmenschlichung, in die materialistische Verapparatisierung und schließlich in die fantasielose Perspektivlosigkeit führt !

Diese Musik ist also nicht nur ein mutiger Ausbruch aus den gängigen Programmen und aus dem öden, hoffnungslosen Alltag vieler Jugendlicher sondern in einer Zeit wachsender Unmündigkeit, Unzufriedenheit, Moral-, Werte- und Sittenverfalls und zunehmend leidenschaftslosem Mitläufertums ein zwangsläufiger Befreiungsschlag, der den Frust aufzeigen und der jetzt für neuen Mut, für neue Visionen und für neue Ziele sorgen soll !
Auch wehrt man sich meiner Meinung nach gegen die weitverbreitete Epigonenkultur, die sowohl konsumistisch und ideologisch vergleichmäßigt als auch Besseres und Neues verhindert.
Weiterhin höre ich ganz klar Ansätze zukunftsträchtiger postmoderner Vorstellungen und Visionen von einer besseren und friedlicheren Welt aus den Texten raus, indem man indirekte aber auch direkte Kritik am Vorhandenen, an falschen Idolen und an opportunistischen Vorlebern übt !

Viele Rapper stellen sich zwar gern als rabiate Bösewichte dar, keineswegs aber etwa als Mörder oder Verbrecher, sondern meist nur als ''Junge von der Straße'', der doch nur in dieser Welt groß wurde und der allein wegen den Umständen dazu wurde was er ist, ja, werden musste, um im Großstadtdschungel klarzukommen.

Interessanterweise und dies ist wesentlich für meine Beurteilung, trennt man sich dabei nicht von althergebrachten Wertvorstellungen. Denn oft ist in den Liedern von den Eltern die Rede, die man etwa nicht enttäuschen möchte oder von der ''Schande für die Eltern'', die man auf keinen Fall sein möchte.
Familiäre Werte und in der Folge soziales Verhalten, dass in der modernen Großstadt, auf der Straße kaum aufrechtzuerhalten und durchzusetzen ist, wird öfters angesprochen, als man denkt !
Man will also zurück, zur Vernunft, zum Miteinander, zur Familie, sucht Anerkennung und Zuneigung, findet aber vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Situation keinen Weg und benutzt daher Drogen, Alkohol, Sex und Gewalt als Ventil !

Also vielmehr sind diese Lieder ein Fingerzeig auf die Bedingungen des Menschseins, so wie sie sich für hunderttausende junger Leute, insbesondere in den Großstädten unserer kapitalistischen, kalten Gesellschaft mit ihren oft erbarmungslosen Regeln darstellen !

Nicht also eine pauschale Verurteilung als vielmehr eine Auseinandersetzung mit den Deutschrappern ist notwendig ! Allein dies erklärt ihre blanke Existenz, zeigt die Ursachen, Motive und Botschaften ihrer Liedtexte auf.


riesenZWERG

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